Eine Definition von Kunst
Immer wieder bin ich mit der Frage "was ist Kunst" oder "was ist ein Kunstwerk" konfrontiert. Zu diesem Thema gibt es eine ganze Menge Literatur, die mich aber bis heute nicht überzeugt hat. Das ist kein Wunder, denn in der Kunst geht es um die Schönheit und das ist ein überwigend abstraktes Konzept, das eher mit Gefühlen und nicht mit irgendwelchen mathematischen Formeln zu tun hat. Wem ist es nicht schon mal passiert, dass er stehend vor einem Kunstwerk gedacht hat "Oh!...was ist das? Das kann auch mein Kind machen". Obwohl mein Interesse für die Malerei und die Kunst nicht neu ist und mich dazu gebracht hat, viele Biographien, Manifeste, Kritiken, Kommentare, etc. zu lesen und Ausstellungen aller Art Künstler, Stile, Epochen zu besuchen, stelle ich mir immer wieder diese Frage, wenn ich vor einem Kunstwerk stehe. Vor allem als Künstler, könnte ich ein offener Mensch sein. Tolerant und verständnisvoll. Vielleicht bin ich es in einigen Aspekten, nur kann ich es nicht immer bei der Kunst sein. Meine ersten Gedanken über diese Frage entstanden vor Jahren in meinem Unterricht zur Kunstgeschichte, als ich zum ersten mal das Werk "Fountain" von Marcel Duchamp gesehen habe.

 

Marcel Duchamp Fountain, 1916-17

Marcel Duchamp Fountain, 1916-17

 

Obwohl das Ziel von Duchamp ein anderes war, nämlich das in Frage Stellen der traditionellen Kunst und dem zu dieser Zeit dominierenden Rationalismus, fällt es mir schwer zu glauben, dass ein Pissoir ein Kunstwerk ist. Duchamp hat mit mir sicherlich sein Ziel erreicht. Sein Werk als Ereignis innerhalb der Kunstgeschichte ist sicherlich gerechtfertigt. Was mich aber wundert ist, dass man fast 90 Jahre später in Museen und Ausstellungen Pissoirs außerhalb der Toilette immer noch findet.

Vor einigen Monaten habe ich die Ausstellung "rauten traurig" von Thomas Huber (Zürich, 1955, www.huberville.de) in der tübinger Kunsthalle besucht. Seine Malerei hat mich fasziniert. Seine Motive sind hauptsächlich große Räume mit wenigen Objekten, die nicht nur eine plastische Bedeutung haben sondern auch eine wichtige Rolle in der Komposition spielen. Diese gründlich gefließten Räume haben Fenster, Türen, Stühle, Lampen und sind aus der perspektivischen Sicht mit hohem Perfektionsgrad dargestellt. Dieser scheinbare Realismus ist gebrochen durch die Menschenleere, die seltsame Aufstellung der Objekte und die Farbauswahl. Die daraus resultierende Atmosphere ist beeindruckend. Die Werke sind, in der Regel, von großen Dimensionen und decken fast das komplette Blickfeld des Betrachters. Thomas Huber ist nicht nur Maler sondern auch Schrifteller. In der Ausstellung die Bilder sind mit Texten begleitet, die seine Denkweise wiederspiegeln. Einer von den Texten hat mir besonders gut gefallen. Am Anfang wusste ich nicht warum aber nach einer Zeit habe ich endeckt, dass sich in diesem Text eine sehr persönliche Definition von Kunst versteckt. Der Text lautete:

"Nein, Sie können das Bild nicht sehen. Auf keinen Fall können Sie das Bild sehen. Warum kann ich das Bild nicht sehen? Sie würden es so schell anschauen. Das würde mich bekümmern. Sie würden das Bild, für dessen Herstellung ich solange gebraucht habe, so schnell anschauen. Sie würden mit einem Blick erfassen, wofür ich fast ein Leben gebraucht habe, ja ein Leben. Sie würden mein Leben so weggucken, so ganz schnell weggucken. Das wäre mir unerträglich. Nein, sie können das Bild nicht sehen"

In diesem Absatz habe ich eine einfache Art und Weise Kunst von nicht Kunst zu unterscheiden entdeckt: wenn ich vor einem Werk stehe und darin das Leben und die Mühe des Künstlers sehen kann, dann stehe ich vor Kunst.

 
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